Wieso das Festhalten im Fesselkopf ein Alarmsignal ist
Eine Frage vorweg: Würdet Ihr mit Eurem Auto weiterfahren, wenn die Kontrollleuchte mit dem Öllämpchen (Fachterminus: Öldruck-Kontrollleuchte) aufleuchtet? Und ihr wisst, es ist kein Fehlalarm?
Natürlich nicht! Ihr füllt entweder Öl nach oder lasst das Auto in die Werkstatt schleppen. Auf jeden Fall werdet ihr es stehen lassen und nicht weiterfahren, denn dann droht ein kapitaler Motorschaden, wie jeder Fahrschüler lernt.
Was hat dieser Vergleich mit Pferdetraining zu tun? Eine ganze Menge, wie ihr gleich erfahren werdet.
Ich wurde vor einiger Zeit zu einem Pferd gerufen, das vom Tierarzt ein diagnostiziertes Fesselträgerproblem am linken Vorderbein hatte. Meine Aufgabe war, nach Abschluss der Behandlung das Pferd wieder schonend ins Training zu nehmen, ohne dass ein weiterer Schaden passiert.
Wer mich kennt, weiß, dass ich mir als Erstes immer einen Überblick über das Bewegungsmuster verschaffe, denn für mich ist es wichtig zu wissen, ob der Schaden durch eine Fehlbelastung verursacht wurde oder durch eine traumatische Verletzung, d.h. eine plötzliche starke Einwirkung auf den Organismus.
Dieses Pferd hatte ein nach innen rotiertes linkes Vorderbein (warum dies passieren kann siehe Blog „Fit trotz Wehwehchen – es geht!“ vom 29.10.2019). Durch die Rotation wirken auf den Fesselträger andere Zug- und Bewegungskräfte ein als auf dem anderen Bein. Auch nimmt das Pferd oft das rotierte Bein ein bisschen aus der Belastung raus. Das sieht man sehr gut, wenn man sich im Schritt einmal nur die Bewegung der Fesselköpfe ansieht – und da vor allem – im direkten Vergleich von rechtem und linkem Vorderbein – wie weit der Fesselkopf des rotierten Beins nach unten gedrückt wird.
Um das zu erkennen, braucht es ein wenig Übung – aber man bekommt es nach einiger Zeit auch als Laie ganz gut hin!
Wenn ihr den Blog „Fit trotz Wehwehchen“ gelesen habt, werdet ihr sofort an das rechte Hinterbein denken, das mehr unter den Schwerpunkt treten muss, um das linke Vorderbein aus der Rotation zu bekommen (man kann es auch mit passiver Mobilisation machen, doch leider ist das keine Dauerlösung, wenn es immer wieder zu Kompensationshaltung kommt).
Im aktuellen Fall geht es aber nicht allein um die Rotation – hier lag auch schon ein handfestes Problem beim Fesselträger selbst vor. Man muss also nicht nur das rechte Hinterbein im Fokus haben, sondern auch die Fesselkopfbewegung des linken Vorderbeins.
Das Training beginnt im Schritt, der schonendsten Gangart – doch bereits diese lässt sich dafür nutzen, gymnastizierend auf den Pferdekörper einzuwirken. Zum Beispiel führe ich das Pferd geradeaus und baue dann eine 90-Grad-Ecke ein, indem ich eine Vorhandwendung verlange (d.h. das rechte Hinterbein soll unter den Bauch vor dem linken Vorderbein kreuzen).
Erst wenn mit vermehrter Belastung im Schritt der Fesselkopf nicht festgehalten wird bzw. das Bein nicht mehr nach innen rotiert ist, kann man in der Belastung mehr verlangen, z.B. ein bisschen Trab. Dabei sollte aber immer im Fokus bleiben, ab wann der Fesselkopf nicht mehr nach unten gedrückt wird. Im Fachjargon sagt man: Der hält sich im Fesselkopf fest.
Sieht man das Festhalten im Fesselkopf, ist das Training für diese Einheit zu beenden. Das ist vor allem wichtig, wenn man mit den ersten Trabeinheiten beginnt. Am nächsten Tag sollte dann nur Minustraining, d.h. Schritt folgen und erst am weiteren oder übernächsten Tag wieder Trab. So kann man einen Trainingsreiz setzen und dem Körper im Minustraining Zeit zur Regeneration und Verarbeitung geben.
Aber was hat dies alles mit dem Aufleuchten der Öldruck-Kontrolllampe beim Auto zu tun? Der Vergleich ist für mich deshalb stimmig und naheliegend, weil Pferde selten oder nur in gravierenden Fällen ein unmittelbares Schmerzverhalten (z.B. Lahmheit) zeigen und uns so auf ein gesundheitliches Problem hinweisen. Sie versuchen vielmehr, das Problem zu kompensieren, wie es ihrer Natur als Fluchttiere entspricht, sprich: Sie wollen einem möglichen Angreifer nicht signalisieren, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmt oder dass sie geschwächt sind.
Diese Kompensation – durch Haltung, Bewegung etc. – ist vergleichsweise schwer zu erkennen, obwohl sie ein wirkliches Alarmsignal (wie eine Kontrollleuchte!) darstellt und auf tieferliegende Probleme schließen lässt. Und sie ist jedenfalls für den weiteren Trainingsaufbau bzw. für die Rehabilitation eines Pferdes sehr nachteilig und kontraproduktiv.
Im Humanbereich kennt man die Situation, dass Sportler mit einer hohen Schmerztoleranz oft zu früh zu stark belasten. Sie scharren quasi in den Startlöchern, doch dann wirft es sie doppelt so weit zurück, weil sie den Bogen oft überspannen.
Bei Pferden gibt es zweifellos auch unterschiedliche Schmerztoleranzen. Doch nach meiner Erfahrung sind es eher die Kompensationsbewegungen, die vorherrschen. Leider werden sie von uns Menschen oft übersehen, was alles nur noch schlimmer macht.
Deshalb: Vergesst auch im Pferdetraining nicht, dass eine solche ,Warnlampe‘ aufleuchten könnte – und ihr dann nicht weitermachen, sondern nach den Ursachen suchen sollt, um noch größeren Schaden von Eurem Pferd abzuwenden. Und glaubt mir: Dieses Erkennen von Warnsignalen – man kann es lernen!